
Beim jährlichen Slow Tech Uprising Summit in Paris versammelte Back Market internationale Marken, die für Nachhaltigkeit und gesellschaftliches Engagement stehen. Das Ziel: Kreislaufwirtschaft vom Nischenthema zum neuen Standard zu machen.
„Als ich Back Market vor 11 Jahren mitgegründet habe, war die Welt gefangen im Teufelskreis von Fast Tech“, sagte CEO Thibaud Hug de Larauze in seiner Eröffnungsrede beim jährlichen Slow Tech Uprising Summit in Paris.
„Das Muster war immer das gleiche: ein Gerät neu kaufen, ein Jahr später upgraden, während das alte Gerät in der Schublade verstaubt oder gleich im Müll entsorgt wird. Damals war es kaum vorstellbar, dass es auch anders geht.“
Elf Jahre später ist es – um es mit John Lennon's ‚Imagine‛ zu sagen – ganz leicht, sich eine bessere Zukunft vorzustellen: Back Market schlägt heute auf seinem Marktplatz Waren im Wert von fast 3 Milliarden Euro um. Damit hat das Unternehmen stark dazu beigetragen, dass Konzepte wie erneuerte Technik, Reparaturkultur und der bewusste Kauf von gebrauchten Geräten im Denken der Verbraucher:innen angekommen sind. „Begriffe wie ‚refurbished‛ oder ‚erneuerte Technik‛ sind heute Teil der Alltagssprache“, so Hug de Larauze weiter.
„Unser Marktanteil hat sich im letzten Jahrzehnt verzehnfacht. Immer mehr Verbraucher:innen steigen aus dem Upgrade-Hamsterrad aus und der Bann des Fast Tech bricht endlich. In 10 Jahren wird Kreislaufwirtschaft bei Technikprodukten nicht mehr Nische sein, sondern Standard.“
Der Summit war eine Chance, diesen Wandel zu feiern – und all jene, die helfen, Fast Tech auszubremsen und die zerstörerische Upgrade-Kultur hinter sich zu lassen. Der Einsatz dieser Menschen verhindert Millionen Tonnen zusätzlichen Elektroschrott pro Jahr. Herzstück des Ganzen sind dabei Communities, die mit Leidenschaft diesen Wandel tragen.
Kreislaufwirtschaft? Kann auch cool sein
Auf der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Genug ist genug! Unsere kollektive Abkehr von allem, was ‚Fast‛ ist“ erklärte Peter Semple, CEO der Second-Hand-Plattform Depop, dass das starke Wachstum seines Unternehmens – allein 2024 lag der Umsatz bei 788 Millionen US-Dollar – vor allem daran liegt, dass Second-Hand-Mode heute wirklich cool wirkt. „Unsere Mission war von Anfang an, Menschen zu zeigen, dass Second-Hand die bessere Wahl ist, statt immer neu zu kaufen“, sagte er. „Wir haben das geschafft, indem wir Second-Hand-Mode zum Ausdruck deiner Persönlichkeit gemacht haben. So zeigst du, wer du bist.“
Semple weiter: „Rapper wie Doechii und Central Cee haben Depop unabhängig voneinander in ihren Songtexten erwähnt. Für mich ist das der Beweis, dass man die Kreislaufwirtschaft nur dann in der Popkultur verankern kann, wenn man sie cool macht. Und nicht, indem man Moralpredigten hält. Klar, jedes Jahr entstehen noch zig Millionen Tonnen Textilmüll. Aber dass sich bereits 44 Millionen Menschen bei einer Second-Hand-Plattform wie Depop registriert haben, zeigt das enorme Potenzial, diesen Trend umzukehren.“
Auch Dr. Kaitlyn Regehr, Autorin von Smartphone Nation, hob die Kraft engagierter Communities hervor: Nur so könne die Kreislaufwirtschaft vom Nischenthema in den Alltag hineinwachsen. „Ob Depop oder Back Market: Wir müssen uns als eine gemeinsame Community begreifen. Politik reagiert immer erst auf den kollektiven Willen der Menschen“, sagte sie.
„Nur wir selbst können entscheiden, ob wir uns von den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie und dem Fast Tech befreien. Denn wir dürfen nicht vergessen: Diese Technologien werden immer raffinierter darin, uns zu manipulieren.“ Laut Joy Howard, die Marketingchefin Back Market, sei auf Reddit die Zahl der Suchanfragen und Erwähnungen des Begriffs „Slow Tech“ im vergangenen Jahr um 95 % gestiegen.
Gleichzeitig wuchsen die Diskussionen zum Thema „Reparatur“ und „Wiederverwendung“ um 82 %. „Diese Daten zeigen, dass immer mehr Menschen genug haben von ausbeuterischen Handy-Verträgen“, so Howard. „Die Zahlen belegen, dass Konsument:innen heute bewusstere und sozialere Entscheidungen treffen.“
Big Tech ausbremsen für mehr Unabhängigkeit
Ob er Elon Musk kritisiert oder Schwachstellen in der „Hype-Maschinerie“ des Silicon Valley entlarvt, der kanadische Tech-Journalist Paris Marx nimmt kein Blatt vor den Mund. In seiner Rede beim Slow Tech Uprising Summit machte er deutlich, dass es nicht reicht, nur die Verbraucher:innen für die Kreislaufwirtschaft zu gewinnen. Auch Regierungen müssen unabhängiger werden von Tech-Konzernen, die ein Eigeninteresse daran haben, die Fast-Tech-Kultur am Leben zu halten.
„Behörden in Dänemark, Deutschland oder Frankreich sind fast alle abhängig von Windows oder Apple“, sagte Marx. „Vielleicht gibt es einfach die Angst, sich mit den US-Tech-Giganten anzulegen. Aber genau jetzt ist der Moment für Europa, sich von dieser Abhängigkeit zu lösen und bei der Kommunikation und beim Shopping seinen eigenen Weg zu gehen.“
„In Kanada bauen wir derzeit ein eigenes zentrales Cloud-System auf, was schon ein guter Anfang ist. Aber eine echte Kreislaufwirtschaft lässt sich nicht vorantreiben, solange zentrale Institutionen eines Landes von vermeintlich glänzenden Big-Tech-Produkten abhängig sind, die in Wahrheit das Gegenteil bewirken.“
Ein Weg, die Abhängigkeit von Big Tech zu durchbrechen: Mit der neuen Kategorie ‚Computer im Unruhestand‛ holt Back Market Laptops zurück, die offiziell schon abgeschrieben sind – etwa Windows-10-Geräte, die Microsoft bald nicht mehr unterstützt. „Ab jetzt können alle ihr altes Gerät wieder flottmachen. Kein Grund mehr, dass ein Laptop auf der Deponie landet. Wir haben die bessere Lösung!“ sagt Amandine Durr, Chief Product Officer bei Back Market.
Durr verwies auch darauf, dass der Anteil erneuerter Smartphones in der EU in den letzten drei Jahren um 33 % gestiegen ist – im Vergleich zu nur 6 % Wachstum in der globalen Elektronikbranche. Für sie ein deutliches Signal: Konsument:innen haben Lust, unabhängiger von Big Tech zu werden. Das größte Hindernis bleibt die Sorge um den Akku. Doch Back Market startet bald ein spezielles Austausch-Programm für Akkus, um diese Bedenken auszuräumen: „Immer mehr Menschen merken, dass es ihnen reicht, wenn sie sich darauf verlassen können, dass Technik einfach funktioniert. Sie wollen Geräte, die wirklich lange halten und die man reparieren kann.“
Warum die Kreislaufwirtschaft jetzt durchstartet
Als Christine Goulay, Gründerin der Beratungsfirma Sustainabelle, gefragt wurde, ob die Kreislaufwirtschaft noch immer ein zu kleines Geschäftsfeld für Marken sei, widersprach sie entschieden: „Schauen wir uns Decathlon an: 2024 hat das Unternehmen allein mit Kreislaufmodellen 500 Millionen Dollar umgesetzt. Diese Zahlen zeigen, dass dieses Geschäftsmodell wächst. Marken machen einen Fehler, wenn sie das ignorieren.“
„Wir stehen an einem historischen Punkt, an dem die meisten Konsument:innen alte Kleidung oder Elektronik nicht mehr einfach als Müll betrachten. Die Vorstellung, sie zu verbrennen, wirkt unsinnig. Unser gesamtes Wertesystem hat sich verändert und die Kreislaufwirtschaft gehört inzwischen selbstverständlich dazu. Es gibt kein Zurück mehr.“
Die Teilnehmenden des Summits waren sich einig: Die Kreislaufwirtschaft ist bereit für das nächste Level. „Heute verabschieden wir uns von der linearen Wirtschaft. Wir brauchen sie nicht mehr“, ergänzte Dounia Wone, Chief Impact Officer bei Vestiaire Collective.
„Wir müssen auf die drängenden Fragen der Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit reagieren – gerade in der Mode- und Textilindustrie. Das heißt: In den nächsten Jahren müssen wir unser Verkaufsmodell neu aufstellen, und Konsument:innen müssen ihr Kaufverhalten überdenken. Und wir müssen die Botschaft verbreiten: Second-Hand ist immer besser als neu.“
Für Marianne Gybels, Sustainability-Direktorin bei Vinted, liegt der Schlüssel darin, Käufer:innen zu Verkäufer:innen zu machen: „Ich bin vielleicht voreingenommen, aber ich glaube, Vinted ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kreislaufwirtschaft funktioniert. Wir sind in 23 EU-Märkten aktiv, und 50 % unserer Kund:innen kaufen nicht nur Second-Hand, sondern verkaufen auch ihre gebrauchten Sachen bei uns.“
Gybels weiter: „So zeigen wir den Menschen, dass selbst ungenutzte Dinge im Kleiderschrank wertvoll sind. Nur weil man ein Kleidungsstück nicht trägt, ist das kein Grund, es wegzuwerfen. Dieser Rollentausch – von Käufer:innen zu Verkäufer:innen – ist entscheidend, um die Branche voranzubringen.“
Auch der CEO von Back Market zeigt sich optimistisch, wenn er in die Zukunft blickt: „Von Gen Z bis Gen X haben die Menschen genug von Fast Tech, Fast Fashion und der Wegwerf-Mentalität“, so Thibaud Hug de Larauze.
Sein Fazit brachte die Vision von Back Market auf den Punkt: Slow Tech ist das Modell für eine nachhaltige Zukunft. „Slow Tech bedeutet nicht, langsamer zu werden“, schloss er. „Es bedeutet, unseren eigenen Weg zu gehen: zu behalten, was funktioniert, zu reparieren, was kaputtgeht, und neu zu gestalten, was möglich ist.“