Die Kindheit ist zu kurz, um sie mit dem Smartphone zu verbringen

23. Mai 2025


6 Min. Lesezeit


Thomas Hobbs

Thomas Hobbs

So sieht es Daisy Greenwell, Mitgründerin der Initiative Smartphone Free Childhood. Und sie ist mit dieser Haltung nicht allein. Seit dem Start der britischen Bewegung, die sich dafür einsetzt, Kindern den Einstieg ins Smartphone-Alter frühestens ab 14 Jahren zu ermöglichen, haben sich bereits über 140.000 Eltern in das Unterstützer:innen-Register eingetragen.

„Viele meinen, es sei längst zu spät, denn Kinder greifen heute schon mit drei Jahren zum Smartphone, da könne man nichts mehr tun …“, sagt Daisy Greenwell. Doch sie widerspricht entschieden: „Das ist Quatsch.“

Gemeinsam mit ihrem Mann Joe Ryrie gründete die dreifache Mutter die Initiative Smartphone Free Childhood. Nicht aus Ablehnung gegenüber Technik, sondern als engagiertes Plädoyer für eine gesunde, smartphonefreie Kindheit: „Wir sprechen uns nicht grundsätzlich gegen Smartphones aus. Sie haben unsere Gesellschaft zweifellos verändert – in vielem zum Guten. Aber für Kinder kommt dieser Einfluss einfach zu früh, vor allem, wenn es um ihre mentale Entwicklung geht.“

Sie vergleicht die Situation mit dem Straßenverkehr: „Autos sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Aber wir haben Regeln eingeführt, um sie sicherer zu machen: Sicherheitsgurte, Tempolimits, Umweltauflagen. Genauso könnten wir bei Smartphones darüber nachdenken, wie wir sie kindgerecht gestalten und einen verantwortungsvollen Umgang fördern.“

„Kinder greifen heute früher zum Handy als je zuvor – und landen in einer Welt voller toxischer Inhalte und Suchtfallen. Das ist ein strukturelles Problem: Es reicht von der Politik über die Schulen bis in die Familien.“

Aktuelle Zahlen aus Deutschland bestätigen Greenwells Einschätzung: Drei Viertel der 10- bis 11-Jährigen nutzen ihr Smartphone täglich – bei den 12- bis 13-Jährigen sind es sogar nahezu alle (Bitkom 2024).

Auch soziale Netzwerke sind für viele Kinder längst Alltag: Rund die Hälfte der 10- bis 11-Jährigen verbringt täglich Zeit auf Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok. Chats, Videoanrufe oder Live-Streams gehören dabei schon für Grundschulkinder zur regelmäßigen Mediennutzung. 

Durch die weite Verbreitung von Smartphones kommen Kinder immer früher mit digitalen Inhalten in Berührung. Viele Eltern greifen in stressigen Momenten auf Videos am Handy zurück, um ihre Kinder kurzfristig zu beruhigen – ein verständlicher Reflex im Familienalltag.

Stimmen aus der Praxis sehen darin ein klares Signal an die Plattformbetreiber. „Die Unternehmen müssen sich endlich an der Realität orientieren – an den Nutzer:innen, die tatsächlich auf ihren Plattformen unterwegs sind, nicht nur an denen, die laut AGB erlaubt wären“, sagt Mark Bunting von der britischen Online Safety Group. Dass viele der beliebtesten Apps auch von Kindern unter dem offiziellen Mindestalter genutzt werden, ist längst bekannt – und die Anbieter sind gesetzlich verpflichtet, diese Kinder besser zu schützen.

Tatsächlich bedeutet das: Kinder haben immer früher Zugriff auf Inhalte, die sie überfordern können – von Gewaltvideos und Mobbing über fragwürdige Schönheitsideale bis hin zu diskriminierenden Inhalten. Eine weltweite Studie von Sapien Labs mit fast 28.000 Jugendlichen kommt zu einem klaren Ergebnis: Je jünger Kinder beim ersten Kontakt mit einem Smartphone sind, desto schlechter schneiden sie in puncto psychischer Gesundheit ab.

Genau hier setzt die Initiative Smartphone Free Childhood an. Mit Veranstaltungen in Schulen und digitalen Info-Formaten bietet sie Eltern Orientierung, macht Mut zur gemeinsamen Entscheidung und setzt sich politisch für bessere gesetzliche Rahmenbedingungen ein. Ihr Ziel: Eltern nicht länger allein zu lassen, sondern eine breite gesellschaftliche Bewegung für eine gesunde, smartphonefreie Kindheit zu schaffen.

Anthea Renshaw

Ein zentraler Bestandteil der Bewegung ist der sogenannte „Parent Pact“ – ein Netzwerk, in dem Eltern entdecken können, welche anderen Familien in ihrer Umgebung sich dafür entschieden haben, ihren Kindern den Zugang zum Smartphone bewusst zu verzögern. In den lokalen WhatsApp-Gruppen können sie sich miteinander austauschen und gegenseitig bestärken. In Großbritannien haben sich bereits über 140.000 Familien angeschlossen. Greenwell ist überzeugt: „In zwei Jahren werden es eine Million sein.“

In Deutschland verfolgt die Initiative „Smarter Start ab 14“ ein ähnliches Konzept. Auch hier können sich Eltern über WhatsApp vernetzen und öffentlich machen, dass sie mit dem ersten Smartphone bis mindestens zur weiterführenden Schule warten.

Dass diese Bewegung in so kurzer Zeit gewachsen ist, ist bemerkenswert: Smartphone Free Childhood wurde erst im Februar 2024 gegründet. „Der Parent Pact wirkt wie ein positiver Gruppeneffekt“, erklärt Greenwell. „Wenn man sieht, dass andere Familien mitziehen, fällt es leichter, selbst dranzubleiben. Wenn nur ein Viertel der Eltern mit gutem Beispiel vorangeht, kann das schon ausreichen, um in der ganzen Klasse ein Umdenken anzustoßen.“

Die Idee entstand aus einem Moment der Irritation: Als die Times-Journalistin Daisy Greenwell hörte, dass ein Kind in der Klasse ihrer Tochter mit gerade einmal acht Jahren ein iPhone bekommen sollte, gründete sie kurzerhand eine kleine WhatsApp-Gruppe. Was als lose Initiative begann, entwickelte sich schnell zu einer Bewegung. Schließlich kündigten sie und ihr Mann ihre Jobs, um sich ganz der Initiative zu widmen. „Acht Jahre! Ich war ehrlich entsetzt“, erinnert sie sich.

„Viele hoffen, das Smartphone-Problem werde sich von selbst lösen, wenn sie einmal Kinder haben“, sagt Greenwell. „Doch Kinder greifen heute früher zum Handy als je zuvor – und landen in einer Welt voller toxischer Inhalte und Suchtfallen. Das ist ein strukturelles Problem: Es reicht von der Politik über die Schulen bis in die Familien. Lehrer verlieren inzwischen unzählige Stunden, weil sie Chat-Streit und Mobbing auf Social Media klären müssen, statt zu unterrichten.“

Ihr Mitstreiter und Ehemann Joe Ryrie ergänzt: „Die größten Gefahren sind für mich Angst und depressive Verstimmungen. Wenn Kinder schon im Vorschulalter regelmäßig ein Smartphone benutzen, gewöhnt sich ihr Gehirn an den schnellen Dopamin-Kick durch Likes, Videos und neue Nachrichten. Das zerstört die Konzentration und die Fähigkeit, sich in etwas zu vertiefen. Und es kann das Selbstbild eines Kindes verzerren, weil es sich ständig über das definiert, was auf dem Bildschirm passiert. So wird die emotionale Entwicklung ausgebremst, genau in dem Alter, in dem sie Fahrt aufnehmen sollte.“

Und wie geht es weiter? Greenwell denkt längst über die britischen Grenzen hinaus. Ihr Ziel: die Bewegung Smartphone Free Childhood weltweit bekannt machen. Mittlerweile haben sich Eltern in über 30 Ländern in lokalen Gruppen zusammengefunden – auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.

Daisy Grenwell will weiter Druck auf politische Entscheidungsträger:innen und große Tech-Konzerne ausüben. Auch wenn sich das manchmal wie ein Kampf gegen Windmühlen anfühlt.

„Die britische Regierung zeigt wenig Interesse, am Status quo etwas zu ändern“, sagt Greenwell. „Vielleicht liegt es am geopolitischen Druck. Oder weil der Lärm aus den USA alles übertönt: Trump behauptet sogar, wer amerikanische Tech-Konzerne regulieren will, greife die Meinungsfreiheit an. Und die Konzerne selbst? Die hören nicht mal zu. Mark Zuckerberg redet stundenlang in Podcasts. Aber über Kinderschutz verliert er kein Wort. Dabei steht der angeblich ganz oben auf Facebooks Prioritätenliste.“

Trotz aller Widerstände macht Smartphone Free Childhood weiter – mit einer klaren Botschaft: Kinder können lernen, mit Smartphones bewusst umzugehen. Auf die Frage, was sie Eltern rät, die neue Regeln einführen wollen, sagt Greenwell: „Die ersten zwei Wochen sind hart. Aber dann siehst du, wie dein Kind aufblüht: Es wird offener, neugieriger und selbstbewusster.“

„Wenn du selbst ständig am Handy hängst, machen die Kinder es dir einfach nach – und du hast verloren“, sagt Greenwell. „Du musst von Anfang an vorleben, dass es mehr gibt als das Gerät in der Tasche.“ Sie lacht: „Letztes Jahr haben wir wahnsinnig viel telefoniert, weil wir die Bewegung ausbauen wollen. Meine Tochter meint schon im Spaß: Als Nächstes starten wir eine Initiative, damit auch Erwachsene lernen, ohne Smartphone zu leben.“

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Geschrieben von Thomas Hobbs

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