Zurückgespult: So feiert VHS ein Comeback im Streaming-Zeitalter

7. Oktober 2025


4 Min. Lesezeit


Thomas Hobbs

Journalist

In den letzten Jahren erlebte VHS ein unerwartetes Comeback: Hollywood-Studios veröffentlichten neue Filme auf Videokassetten und das historische Format erwachte von den Toten.

Es gab eine Zeit, da galt VHS längst als ausgestorbenes Format. Mit dem Siegeszug von DVDs und HD-Fernsehern wirkten verrauschte Bilder und das ewige Zurückspulen wie Relikte aus der Steinzeit der Unterhaltungstechnik. Spätestens als 2016 die Produktion neuer Videorekorder endgültig eingestellt wurde und Streaming-Dienste durchstarteten, schien das Kapitel VHS-Kassetten für immer abgeschlossen.

Doch siehe da: VHS ist zurück. Wie schon bei Kassetten und iPods erlebt auch das gute alte Videoband ein Revival. Fans schwören darauf, dass VHS trotz aller technischen Grenzen etwas Einzigartiges bietet: einen ganz besonderen Charme, den kein anderes Bildformat so hinkriegt.

Nimm nur den Look: Dieses körnige, leicht ruckelige VHS-Feeling hat die Gen Z längst für sich entdeckt. Der Retro-Vibe ist überall: auf TikTok, Instagram oder im neuesten Musikvideo deiner Lieblingsstars. Immer mehr kaufen sogar wieder Kameras mit Kassettenlaufwerk oder verpassen ihren Selfies per „VHS-Filter“ das volle 90er-Flair.

„Nostalgie ist so stark wie lange nicht mehr, denn die Leute wollen einfach zurück in eine Zeit, in der alles ein bisschen unkomplizierter war“, sagt Josh Schafer, Gründer von Lunchmeat VHS, einer Community samt Magazin und Shop, der limitierte VHS-Editionen neuer und alter Horrorfilme verkauft. „Analog fühlt sich echter an. Es hat diese Eigenheiten, die es einzigartig machen, besonders für Menschen, die in den 80ern und 90ern aufgewachsen sind. Der Lo-fi-Look von VHS ist attraktiv, weil er uns erlaubt, mal vom glatt gebügelten digitalen Dauerrauschen abzuschalten.“

Und genau dieses Abschalten wird immer beliebter. Neue VHS-Releases, die heute fast schon normal wirken, wären vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. 2023 bekam der Horror-Blockbuster Alien Romulus eine VHS-Version – die erste Veröffentlichung eines neuen Hollywood-Films auf Video seit fast 20 Jahren. Auch Popstars wie Weyes Blood und Kesha haben limitierte VHS-Tapes mit ihren Musikvideos aufgelegt. Studios und Künstler:innen haben den Nischen-Charme von VHS längst entdeckt und limitierte Auflagen sind praktisch immer sofort ausverkauft.

„Die Nostalgie ist derzeit groß und die Leute wollen einfach in einfachere Zeiten zurück, was VHS zugutegekommen ist“ – Josh Schafer, Gründer von Lunchmeat VHS

Das VHS-Revival macht sich auch im Handel bemerkbar: Immer mehr Menschen schauen sich nach Retro-Playern bei Back Market um und gleichzeitig explodieren die Preise für seltene Kassetten. Auf Auktionen zahlen Sammler:innen inzwischen absurde Summen: 2023 wechselte eine verschweißte Goonies-VHS aus dem Jahr 1986 für rund 125.000 Dollar den Besitzer. Und auch in Europa zieht der Markt an: Eine Star Wars-Kassette wurde zuletzt auf 70.000 Euro geschätzt, Zurück in die Zukunft brachte fast 72.000 Euro, und für Klassiker wie Top Gun, Der weiße Hai oder Ghostbusters wurden fünfstellige Beträge gezahlt. Ganz wie bei Vinyl gibt es auch hier echte Aficionados, die auf der Jagd nach dem „heiligen Gral“ der VHS-Sammlerstücke sind.

Witter Entertainment ist ein weiteres Label im Herzen des VHS-Revivals. Gemeinsam mit Horror-Communities und Independent-Studios wie Broke Horror Fan, Bloody Disgusting oder Cineverse bringt das Unternehmen Underground-Klassiker wieder auf Videokassette heraus. Zu den Highlights der letzten Jahre zählt ein offiziell lizenziertes Boxset von George A. Romeros Kultfilm Night of the Living Dead (1968). Das Set war sogar in großen US-Handelsketten erhältlich – ein deutliches Zeichen dafür, dass VHS längst wieder im Mainstream angekommen ist.

Firmengründer James Cilano sieht vor allem das Horror-Genre als treibende Kraft hinter der Rückkehr der Videokassetten: „Klar, objektiv betrachtet ist VHS das schwächere Format. Aber subjektiv? Eine ganz andere Geschichte. Horror und VHS passen einfach perfekt zusammen: Das grobkörnige, ungeschönte Bild verstärkt die düstere Stimmung, während 4K manchmal fast zu glatt wirkt, um richtig Angst zu machen.“

Horror war ein entscheidender Faktor für die Wiederbelebung der VHS-Technik.

Besonders erfolgreich war die Neuauflage der Terrifier-Reihe auf VHS – Splatter-Filme rund um einen mordlustigen Clown, deren brutale Effekte wie geschaffen für das Format sind. Der erste Teil wurde von Witter auf Videokassette veröffentlicht und konnte einen überwältigenden Erfolg verbuchen.

„Terrifier ist mit Abstand der erfolgreichste VHS-Release der letzten Jahre – wir reden von mehreren tausend verkauften Kassetten“, erklärt Cilano. „Durch diesen Erfolg haben viele weitere Künstler:innen und Studios gemerkt: VHS ist eine echte Chance, ihre Filme in einem Format zu veröffentlichen, das gerade enorm an Popularität gewinnt.“

Josh Schafer, der in seiner privaten Sammlung rund 3.000 Videokassetten hortet, sieht das ähnlich: „Viele Horrorfilme – gerade die mit kleinem Budget – wirken auf VHS einfach besser“, sagt er. „Nicht alles muss ultra-hochauflösend sein. Manchmal ist es sogar gut, wenn die Welt ein bisschen unscharf bleibt. Wenn alles zu real aussieht, reißt es dich aus der Filmwelt heraus.“

Doch hält der aktuelle VHS-Boom wirklich an? Schafer ist überzeugt: Ja. Denn die Streaming-Müdigkeit wächst. Und das spielt dem Format in die Karten. „VHS öffnet die Tür zu einer Welt voller Underground-Filme, versteckter Perlen und verrückter Klassiker. Streaming ist am Ende nur eine vorgegebene Speisekarte mit dem Programm, das die Plattformen dir vorsetzen. Wer wirklich frei durchs Kino-Universum streifen will, braucht physische Medien wie VHS.“

Also, worauf wartest du? Zeit, den alten Videorekorder vom Dachboden zu holen und in eine Welt einzutauchen, die längst totgeglaubt war. Mit einem simplen Adapterkabel läuft das Ding sogar am HD-Fernseher. Sieht ganz so aus, als wäre die gute alte Videokassette wieder da.

Geschrieben von Thomas HobbsJournalist

Thomas Hobbs ist ein freiberuflicher Journalist aus Großbritannien, der für Titel wie den Guardian, Financial Times, Telegraph, Pitchfork, New Statesman, Stereogum, BBC Culture und viele andere geschrieben hat. Er hat Interviews geführt mit Persönlichkeiten wie Nas bis Usher, Weyes Blood und Joe Hisaishi. In seiner Freizeit sammelt und spielt er gerne alte Videospiele.

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